Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 28-4

Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 28-4

Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 28-4

# Jubiläum250

Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 28-4

Friedrich Radek - Sein Leben
Katholischer Priester – ein Vorbild

Prälat Friedrich Radek – Teil 4

Am 1. Mai 1945 war für die Stralsunder der Krieg zu Ende. Mutige Männer hatten auf dem Getreidespeicher der Firma Koch und Poggendorf die weiße Fahne gehisst, so dass die Stadt ohne Kampfhandlungen eingenommen werden konnte. Der deutsche Kommandant hatte sich nach Rügen abgesetzt. Auch der Gauleiter von Pommern, Schwede-Coburg und die SS, hatten auf der Insel Quartier bezogen. Es war auch bekannt, dass sich viele Frauen und Kinder, vor allem Flüchtlinge, dort aufhielten. Der sowjetische Oberst Zyganow hatte die Absicht, deutsche Parlamentäre zum Dänholm und nach Rügen zu schicken, um die deutschen Truppen durch ein Ultimatum zur Kapitulation aufzufordern. Es sollten Personen sein, für die eine möglichst geringe Gefahr bestand, als Verräter erschossen zu werden. Eine Gruppe, bestehend aus den Ärzten Dr. Grieshammer, Dr. Glatzer und der Rot-Kreuz Schwester Christel Judisch aus dem Marinelazarett, begab sich zum Dänholm. Eine andere mit Pfarrer Radek, dem Kaufmann Gerd Beug und der Schwägerin des Pfarrers, Dorothea Radek, sollte die Fahrt nach Rügen antreten. Das Ultimatum enthielt u.a. folgenden Wortlaut:“ Der Krieg ist längst entschieden. Jedes weitere Blutvergießen ist sinnlos. Wir haben nicht die Absicht, das deutsche Volk zu vernichten. Deshalb fordere ich Sie hiermit auf, sofort die Waffen niederzulegen und die Insel kampflos zu übergeben. Im Fall der Ablehnung werden wir Ihren Befehlsbereich sowohl aus der Luft, vom Wasser und von der Erde mit allen Mitteln angreifen……“

Eine gefährliche Aufgabe, und das wussten die Männer und Frauen. Nicht einmal,  schon öfter waren Parlamentäre, entgegen jeglichen Kriegsrechts, erschossen worden. Aber sie alle waren zu dieser gefährlichen Aufgabe bereit, die ihr Leben kosten konnte.

Wenden wir uns der Gruppe Radek zu. Auf der Höhe des Dänholms wurde ihr Boot mehrere Male beschossen. Nach einer Stunde legten sie in Altefähr an. Hier empfingen sie Soldaten und Offiziere. Als diese den Grund ihres Kommens erfuhren, beschimpften sie die Parlamentäre als Verräter und behandelten sie wie Gefangene. Nach langem Zögern nahm man ihnen das Schreiben ab, verband ihnen die Augen und nach langer Irrfahrt über die Insel kamen die drei schließlich in Saßnitz an, wo sie eine ganze Nacht in der Kälte und in Ungewissheit auf der Straße warten mussten. Inzwischen hatte der deutsche General die Kapitulationsbedingungen unterschrieben und man ließ sie frei. Ihre Mission war erfüllt.

Wenn die Bezeichnung “ Retter von Stralsund“ auch nicht ganz korrekt ist, so hat doch diese mutige Tat aller Beteiligten dazu beigetragen, dass die Insel und auch die Stadt vor einer sinnlosen Zerstörung bewahrt worden ist und Menschenleben gerettet wurden. Äußerungen Pfarrer Radek sei nicht als Priester, sondern als Politiker nach Rügen gerudert, sind entschieden zurückzuweisen. Er war immer als Priester erkennbar und andere Parlamentäre gingen nicht als Vertreter ihres Berufstandes dorthin. Sie waren alle verantwortungsvollen Menschen, die Menschenleben retten wollten.

Mit dem Kriegsende kamen Flüchtlingsströme jenseits von Oder und Neiße und Umsiedler, Vertriebene aus den Sudeten in die Stadt. Sie alle suchten wieder eine Heimat in Stralsund. Wenn bis 1945 2.000 Katholiken in Stralsund und in den 86 Dörfern, die zur Pfarrei gehörten, lebten, so waren es nach dem Kriegsende über 9.000. Eine Aufgabe, die kaum zu bewältigen war.

Radek äußert sich selbst zu dieser Situation:“ Die Kirche Gottes steht zur Zeit, wie in Deutschland überhaupt, so auch in Pommern vor ungewöhnlich großen Aufgaben, die vergleichbar sind mit den Aufgaben des 12.und 13. Jh., als Tausende dieses heidnische-slawische Land überfluteten….“

Erzpriester Radek richtete in den umliegenden Orten Gottesdienststationen ein. 1947 musste er 300 Menschen beerdigen. Es bedrückte ihn, dass so viele ohne Krankensakrament starben: Eigentlich müssten wir unser Pfarrbüro zumachen und nur über Land fahren, um alle Kranken und Sterbenden zu versehen. Auch heimatlosen Priestern öffnete er sein Haus.

(Dechant Pich, Dechant Heinsch, Pfarrer Kindermann u.a. gehörten dazu)

Nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus war Pfarrer Radek bereit, einen politischen Neuanfang zu wagen. Er wollte wie viele andere aufrechte Deutsche nach 12 Jahren brauner Diktatur mithelfen, einen neuen freiheitlichen, demokratischen Staat aufzubauen. Er war Mitbegründer der CDU in Stralsund und von 1945- 1947 Kreisvorsitzender dieser Partei. Radek wollte an seine politische Aktivität in der Zentrumspartei vor 1933 anknüpfen. Vor Unionsfreunden hielt er einen Vortrag zum Thema:“ Ist der Christ mitverantwortlich an der Gestaltung des politischen und öffentlichen Lebens?“ Dort rechtfertigte er seine politische Mitarbeit im Staat. Er stellte die Frage: “Machen wir mit, oder machen wir nicht mit?“ Papst Leo XIII., Verfasser der Enzyklika“ Rerum novarum“, hatte seinerzeit die Christen aufgefordert:“ Ihr müsst mitmachen. Aber ihr müsst mitmachen auf dem Boden realer Tatsachen“. Radek aber hatte um diese Zeit den Boden der realen Tatsachen nicht gesehen oder übersehen. Auch die Mithelferrolle der Ost-CDU erkannte er nicht. Er äußerte einmal dem Oberbürgermeister gegenüber:“….. dass die Katholiken nicht am Straßenrand stehen und mit ansehen könnten, wie der Staatskarren in den Dreck fährt. Wenn es sein muss, springen wir zu dem Kutscher auf den Bock und greifen ihm in die Zügel“. Welche Utopie!!!

Als Pfarrer Radek 1955 den „Vaterländischen Verdienstorden in Silber“ für seine Verdienste als Parlamentär vom SED-Staat annimmt, kommt es fast zu einer Palastrevolution. Man meinte, der katholische Pfarrer sei Kommunist geworden. Radek wandte sich telefonisch und schriftlich an das Ordinariat in Berlin. Ja er reiste sogar persönlich nach Berlin, um beim Bischof vorzusprechen, musste aber unverrichteter Dinge nach Stralsund zurückkehren, da dieser ihn nicht empfangen hatte. In einem Schreiben teilte ihm Bischof Wilhelm Weskamp am 13. Oktober 1955 mit: „ Sehr geehrter Herr Erzpriester! Auf ihr Telegramm, das Sie an mein Ordinariat in einer Sie persönlich betreffenden bürgerlichen Sache berichtet haben, teile ich ihnen mit, das ich nicht beabsichtige, Ihre Freiheit der Entschließung in außerkirchlichen Dingen zu beschränken“. Pfarrer Radek nahm an, der Bischof hätte nichts gegen die Ordensannahme einzuwenden. Zu einer klärenden Aussprache zwischen dem Oberhirten und dem Ortspfarrer ist es nicht mehr gekommen, da der Bischof kurze Zeit später erkrankte und verstarb. Einige Mitbrüder warfen ihm Verrat am Glauben vor und wollten ihn von jetzt an unter Kontrolle halten. Auch versuchten sie, mit Pfarrer Wessels aus Demmin über eine Großaktion der Gemeinde gegen Radek zu verhandeln. Pfarrer Wessels wies dies aber energisch zurück. Diese Lieblosigkeit einem alten verdienstvollen Mann gegenüber ist nicht zu verstehen. Kann man diese Unstimmigkeit nicht christlicher regeln ? Zum 31. Dezember 1955 wird Pfarrer Radek als amtierender Erzpriester abgesetzt, ein Amt, das er seit 1925 inne hatte.

Als die Stadtvertreter in Stralsund am 30. April 1958 nach einer massiven Hetzkampange gegen die Ordensschwestern das katholische Waisenhaus am Jungfernstieg schließen und beschlagnahmen lassen, gibt Pfarrer Radek mit entsprechend wirkenden Worten seinen Orden an den Oberbürgermeister zurück.

In seinen Predigten griff er den Staat sehr oft an, so dass sich mach Kirchenbesucher fragte, ob dies wohl gut ausgehe. Auch zur Jugendweihe, zur sozialistischen Namensgebung und Trauung bezog er eindeutig Stellung. Der Staatssicherheitsdienst interessierte sich, wie seinerzeit auch die Geheime Staatspolizei, für ihn und verpflichtete Leute zum Spitzeldienst. Als ein Gemeindemitglied davon Kenntnis bekam und ihn warnen wollte, sagte er:“ Ich weiß es, und Sie werden es nicht für möglich halten, schreibe dafür selber die Berichte!“

Pfarrer Radek ging niemals den Weg des geringsten Widerstands. Er hat Zeit seines Lebens immer versucht, den Platz, auf den ihn der Herrgott gestellt hatte, auszufüllen.

1949 ernennt ihn der Hl. Vater, Pius XII., in Anerkennung seiner vorbildlichen priesterlichen Tätigkeit zum Geheimkämmerer mit dem Titel Monsignore.

Er hatte noch so viele Pläne, wollte in der Tribseer Vorstadt eine Kirche bauen, das Grundstück war bereits erworben. Aber am 31. März 1960 legte er aus gesundheitlichen Gründen sein Amt als Ortsgeistlicher nieder. Er wollte seinen Lebensabend in Berlin verbringen. Dazu kommt es aber nicht mehr, denn nach dem Hochamt am Christkönigsfest 1960 erleidet er einen schweren Herzinfarkt, und nach Entlassung aus dem Krankenhaus bezieht er seinen Alterswohnsitz im Hause Jungfernstieg 2, bei den Borromäerinnen, dass er bis zu seinem Tode am 17. Juli 1964 nicht mehr verlässt. Es fiel ihm schwer, so untätig seine Tage zu verbringen und sprach von sich als dem „Gefangenen seiner Wohnung“.

Er war eine eigengeprägte Persönlichkeit. Wen wundert es da, dass er schon zu Lebzeiten seinen Nachruf formulierte. Grabreden, in denen es nur Ruhmesworte für den Verstorbenen gab, lehnte er ab. Der Satz “ Er hatte keine Feinde“ war ihm unverständlich. Er vertrat die Meinung: Ein Mensch, der sein Leben lang seinen Weg unbeirrbar geht und stets seinen Standpunkt vertritt, hat immer mit Feinden zu rechnen. Er wollte von seiner Kirche aus beerdigt werden und an seinem Grab sollten nur kirchliche Vertreter sprechen.

Friedrich Radek hat sich einmal als den ältesten Frontoffizier der pommerschen Diaspora bezeichnet. Er war wie ein Kapitän, der auch in stürmischen Zeiten die Brücke seines Schiffes nicht verließ.

Mit der Benennung unseres Pfarrhauses in „Pfarrer Friedrich Radek-Haus“ ist ihm eine verdiente Würdigung zuteilgeworden. Über keinen anderen Stralsunder katholischen Pfarrer gibt es so viele Geschichten und Anekdoten zu erzählen wie von ihm. Er liebte es, Feste zu feiern. Er war ein guter Gesellschafter, lud sich oft Gäste ein und war auch gerne bei anderen zu Gast. Man erzählt sich, dass er jedes Jahr mit seinem Kirchenvorstand am Rosenmontag zum Eisbeinessen ging. Auch einen guten Tropfen Wein verschmähte er nicht. So soll er einmal nach dem Genuss eines guten Weines geäußert haben:

 „Es ist, als wenn einem ein Engelchen auf die Zunge pinkelt.“

Hoffen wir, dass ihm der Herrgott nach seinem Tod ein barmherziger und gerechter Richter war.

Beitrag im Rahmen von „Kirche 2000“ anlässlich der Namensgebung unseres Pfarrhauses (Autorin der Episoden 28-2 bis 28-4 ; Frau Felicitas Knoppke)

In Gedenken an Frau Felicitas Knoppke; verstorben 2024
überarbeitet von Roland Steinfurth
Korrektur Wolfgang Vogt
Gemeinde Hl. Dreifaltigkeit Stralsund

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