Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 23

Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 23

Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 23

# Jubiläum250

Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 23

Kann Stralsund Heimat werden?

Flucht und Vertreibung Teil 1 - Erlebnisberichte

Nach dem Krieg, aber auch schon zum Ende hin, begann die organisierte Vertreibung hunderttausender Sudetendeutscher aus Böhmen, Mähren und Mährisch –Schlesien meist in Viehwagons in Richtung Deutsches Reich. Auch in den Regionen Schlesiens, in Ost - und Westpreußen, auch Vor - und Hinterpommerns und anderer Regionen begannen diese Aktionen. Gemeindemitglieder wollen aus eigenem Erleben darüber berichten. Schon vorweg ganz herzlichen Dank dafür.

Bericht von 1946 - Sudetenland

Als die Russen am frühen Abend unser Dorf plündern, taucht die junge Frau, nennen wir sie Anna, im Wald unter. Bis zum Morgen verharrt sie in ihrem Versteck. Es ist eine eisige Nacht. Anna trägt nicht mehr als eine Weste über dem Kleid. Die Kälte und der Hunger treiben sie schließlich am nächsten Tag zurück ins Dorf. Doch der tschechische Bauer jagt sie fort wie die anderen Sudetendeutschen, die am Hof zwangsarbeiten. Spätsommer 1946, Tschechei, Kreis Trautenau, Sudetenland. Anna und viele andere erleben bereits die zweite Vertreibung innerhalb von ein paar Monaten. Zuerst scheuchen sie die Tschechen aus ihren Häusern und verdonnern sie zur Zwangsarbeit auf den Feldern. Monate später werden sie verbannt aus dem ganzen Land, die Heimat verlassen, ohne zu wissen wohin. Was erwartet sie? In Viehwagons werden sie nach Deutschland ins Unbekannte geschickt. Sie büßen für das Morden der Nazis im Osten Europas während des Weltkriegs. An den Haltestationen zwingt sie der tschechische Mob zu singen: „Hitler ist ein Schwein und ich bin auch eins.“ Anna ist im Zug mit 40 Waggons a 30 Personen und es geht nach Deutschland, aber wohin wissen sie nicht. Meist sind Mütter mit Kindern unterwegs, die Männer sind in Gefangenschaft. Auch ihr Vater gehört dazu! So gut es geht unterstützt man sich gegenseitig. So kommen sie, ihre Mutter, ihre Schwester und ihre Brüder in unsere Vorpommersche Gegend und nach Stralsund, in eine vorwiegend evangelisch geprägte Gegend. Was wird sein, was wird werden?  Anna ist heute noch Gemeindemitglied in der Pfarrei Sankt Bernhard im Gemeindeteil „Heilige Dreifaltigkeit“ in Stralsund. 

Roland Steinfurth

Abschied aus Königsberg  

Wenn man einen Rückblick seines Lebens macht, kann man sich an viele Zeiten erinnern, an gute und weniger gute! Gerade jetzt wurde ich immer wieder an meine Kindheit erinnert. Es waren nur vier gute Jahre, in denen ich eine glückliche Kindheit hatte. Dann hörte ich immer dieses Wort – Krieg. Nur konnte ich damals damit nicht viel anfangen. Doch ab dem dritten Schuljahr spürte ich eine Unruhe bei Verwandten und Nachbarn. Dann waren da Explosionen bei Luftangriffen zu hören. Die Schule fiel aus, weil keine Lehrer mehr da waren. Im Sommer 1944 wurde die Schule ganz geschlossen. Sie wurde nur noch als Flüchtlingsunterkunft genutzt. Die Luftangriffe wurden immer häufiger. Besonders furchtbar waren zwei große Angriffe der Engländer. Ich hörte nur, wenn die Großen sich unterhielten, dass immer mehr Menschen aus den Dörfern auf die Flucht gingen. Bald wir auch, in einer besonderen Dramatik. 1947 waren wir  in Stralsund in Sicherheit, ein Neuanfang war jetzt möglich. Doch die Jahre meiner Kindheit bleiben, als wenn es heute wäre.

Brigitta Schwerin

Unser Dörflein Switschin, ein  Ort heute in der  Tschechei

Vorbei ist diese Zeit jetzt heute, da wohnen nun andere Leute. Von meinen Eltern, meinen Schwestern und mir, die alle da geboren, sind dort die Spuren längst verloren. Wir mussten raus, und wir Kinder waren noch klein, so prägten sich nur wenige Erinnerungen ein. Ans große Wasser hat es unsere Sippe verschlagen, das war für meine Onkel und Tanten nur schwer zu ertragen. Die fremde Umgebung mit Wasser und Strand, dass sollte nun werden zum Heimatland.

An Sonntagen, da kamen die Mahrlas, die Dittrich und Tscherneys zusammen zu (Mittag) Mittich. Es wurde erzählt von damals und heute, und über die vielen fremden Leute. Doch als Kind habe ich das alles nicht so fremd empfunden, ich hatte auch hier bald Freunde und Heimat gefunden.

Es wurde mein Zuhause eine Stadt am Meer mit Wasser und Wind, so bin ich geworden ein Stralsunder Kind. Doch die Heimat meiner Vorfahren, die halt ich in Ehren, eine Fahrt auf den Switschin kann mir niemand verwehren.

Jetzt haben wir uns in Negast bei Stralsund etabliert und hoffen, dass uns das von damals nicht wieder passiert. Mit Gottvertrauen wollen wir nun zufrieden in die Zukunft schauen.

Franziska Weber / Franz Tscherney   

Gedenkgottesdienst

Aus Anlass des 50. Jahrestages, als der letzte Transport mit Vertriebenen – zu DDR-Zeiten Umsiedler genannt – aus den Ostgebieten Preußen und dem Sudetenland Anfang September 1946 in Stralsund angekommen ist, wird am 12.10.1996 um 09:30 Uhr ein Gedenkgottesdienst in der katholischen Kirche Heilige Dreifaltigkeit gehalten. Es wird die Schubertmesse gesungen.

Pfarrer Franz Niepel, selbst bei diesem Transport aus dem Riesengebirge nach Stralsund gekommen, wird die Heilige Messe feiern mit vielen Landsleuten aus dem Heimatkreis Trautenau und anderen Vertriebenengebieten.

Wir gedenken dabei auch Dechant Josef Pich. Der katholische Glauben war eines der wenigen Gedankengüter, die wir mitbringen konnten. Wir erinnern dabei an die Vertreibung von über 12 Millionen Deutschen, die als Folge des Krieges aus ihrer seit über 600 Jahren angestammten Heimat vertrieben wurden, des Hab und Gutes enteignet und mit 25 bis 50 kg Gepäck pro Person im Deutschen Reich irgendwo eine neue Heimat finden mussten.

Günther Scholz

Sturm über Ostpreußen

Es begann mit dem Zusammenbruch der deutschen Ostfront im Winter 1944/45. Die Katastrophe brach über Ostpreußen herein und wurde zur Tragödie. Die Flucht meiner Mutter mit uns drei Kindern begann Ende Januar 1945 in Gotenhafen (Gdynia/Polen) über die verminte Ostsee, verfolgt von sowjetischen U-Booten und endete zunächst in Swinemünde (heute polnisch). Unsere erste Unterkunft war auf Usedom, wir waren in Sicherheit. Doch zu Hause in Ostpreußen war Chaos. Gauleiter Erich Koch hatte es den Menschen in Ostpreußen verboten, das Land zu verlassen, da keine Gefahr bestünde. Die Rote Armee rückte immer näher. Es war ein Winter, wie ihn Ostpreußen schon lange nicht mehr erlebt hatte. Endlose Trecks zogen über das Land mit Menschen, die von Angst und Erschöpfung gezeichnet waren. Es waren zumeist Frauen, Kinder und Greise, Hochschwangere, die in den Planwagen ihre Kinder bekamen. Die Fuhrwerke kamen schwer vorwärts, denn sowjetische Panzerkolonnen, die sie überholten, walzten manchen Treck einfach nieder. Gebrechliche Alte und Kranke erfroren, erfrorene Erwachsene und Kinder/Säuglinge blieben im Schnee an der Straße einfach liegen. Da Ostpreußen von der Landverbindung abgeschnitten war, führte nur noch ein Weg über das Frische Haff oder über die Ostsee nach Westen. Ungefähr 3000 Gefährte/Planwagen fuhren über das zugefrorene Haff. Die Eisdecke war dieser Belastung kaum gewachsen. Außerdem schossen und bombardierten sowjetische Flieger die Trecks. So wurde das Haff für Tausende zum nassen Grab. Andere versuchten auf Schiffen aus dem Kriegsgebiet zu kommen. Nicht alle erreichten den rettenden Hafen, ertranken in der eisigen Ostsee. Die „Wilhelm Gustloff“ sank mit 10.000 Flüchtlingen, die „Goya“ mit 7000 und die Steuben mit über 4000 Menschen an Bord. Historiker behaupten:“ Es war die größte Völkerwanderung in der Geschichte, als sich Ende des Zweiten Weltkriegs etwa 14 Millionen Deutsche gegen ihren Willen auf den Weg nach Westen machen mussten“.

Unsere Familie war in Stralsund zunächst in Sicherheit. Aber was war aus unseren Angehörigen, Verwandten in Ostpreußen geworden? Erst viel später nach dem Krieg erfuhren wir davon, Handys gab es damals noch nicht.

Meine Tante verließ mit ihren Kindern auf Militärfahrzeugen die brennende Stadt Braunsberg. Mein Großvater, der kein Soldat oder Parteigenosse gewesen war, wurde in einem Güterwagen in den Ural deportiert. Beide haben überlebt - meine Tante in einem Internierungslager in Dänemark und mein Großvater in Russland. Sie und die vielen anderen Flüchtlinge haben diesen Krieg nicht gewollt, haben ihn aber persönlich teuer bezahlt.

Felicitas Knoppke, 2024 verstorben

Erinnern ist wichtig

Nach dem Ende des II. Weltkriegs wurden viele deutsche Bewohner aus dem Osten Europas, aus ihrer angestammten Heimat vertrieben und ausgewiesen. Für die Ersten geschah das bereits gleich Anfang 1945, die aus der sudetendeutschen Heimat nach Bayern umgesiedelt wurden, dies traf Verwandte und Bekannte. Ich und meine Familie kam im August 1946 in der Stralsunder Gegend an. In teilweise Viehwaggons hatten wir eine lange beschwerliche Reise, nur mit dem nötigsten versorgt, hinter uns. Etwa 6.000 Frauen und Kinder waren es! Die Männer waren aus dem Krieg oder der Gefangenschaft noch nicht zurück. Mein Vater z.B. kam erst 1947 aus französischer Gefangenschaft zu uns. Ebenso erging es vielen Menschen aus Schlesien, Preußen und auch Pommern, die auch in großen Gruppen hier im Land ankamen. Wir waren die sogenannten Umsiedler, auch die Bezeichnung Vertriebene war geläufig.

Viele der Älteren blieben in dem ihnen zugewiesenen russischen Sektor, in der Hoffnung, dass es bald wieder in die alte Heimat zurückgehen würde. Diese Hoffnung erfüllte sich aber nicht. Diejenigen, die Verwandte in den anderen drei Sektoren hatten, machten sich schon beizeiten auf den Weg, um in den amerikanischen, britischen oder französischen Sektor zu kommen. Von Stralsund aus waren die drei Sektoren in Berlin relativ schnell zu erreichen, bis dann ein gewisser Walter Ulbricht eine Mauer errichten ließ, wozu er doch nie die Absicht hatte. Damals ahnte niemand, wie lange die Teilung Deutschlands dann halten sollte, bis sich die Mauer dann im November 1989 einfach wieder öffnete. Erstaunt blickt man zurück und erinnert sich an schwierige Zeiten, die jetzt Vergangenheit, aber nicht vergessen sind.

Erinnern ist wichtig, aber etwas heute gegen Kriege tun, auch. Kriege hinterlassen immer ihre Spuren und diese sind bis heute zu entdecken. Die Spuren vom Ersten und Zweiten Weltkrieg, aber eben auch der derzeitigen Kriege in der Welt hinterlassen Spuren bei Kriegsopfern und Flüchtlingen in unseren Familien, und in der Gemeinde sind sie erfahrbar. Immer wieder muss es Ansporn geben, Kriege zu verhindern und zivile Lösungen für Konflikte zu suchen.   

Johann Feistauer /2017

Flüchtlinge - ein Thema auch heute

Teplice nad Metuje, ehemals Weckelsdorf, liegt zwischen dem Riesengebirge und der Adersbach - Weckelsdorfer Felsenstadt. Weckelsdorf ist eigentlich kein besonderer Ort. Doch am 30. Juni 1945 werden hier 23 Menschen ermordet. Am besagten Tag in den frühen Morgenstunden donnerten Soldaten des tschechischen Kommandanten Svoboda an die Haustüren vieler deutscher Bewohner Weckelsdorfs. „Packt die wichtigsten Sachen, Verpflegung für 10 Tage, 25 Kilo Gepäck, nicht mehr. In einer halben Stunde ist Abmarsch!“. Seit diesem Zeitpunkt sind diese Personen verschollen. Am Ort der Tragödie, einem Steinbruch, steht seit 2002 eine Stele in Form eines Kreuzes, um das sich ein steinerner Kreis zieht. Das Hauptdenkmal besteht aus zwei vier Meter hohen Obelisken. Sie sind einander so zugeordnet, dass zwischen ihnen die Umrisse eines Menschen in Lebensgröße sichtbar werden, der aus knieender Haltung sich aufrichtet. Meine Vorfahren waren in diesem Ort zu Hause und haben Manches selber mitgemacht. Möge das „Kreuz der Versöhnung“ in Weckelsdorf Tschechen und Deutsche wieder zusammenführen. Der Wille der Heimatvertriebenen, sich für das Leben hier einzusetzen und auch Fuß zu fassen, verdient höchste Anerkennung und Respekt. Vertreibung war, ist und bleibt Unrecht. Dies ganz besonders, wenn wir sehen, was in unserer Welt an so vielen Orten gerade passiert. Wie damals sind Menschen auf der Flucht oder werden Opfer von Anschlägen. 

Maria Steinfurth (Stenzel) 2018

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