21/05/2025 0 Kommentare
Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 21
Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 21
# Jubiläum250

Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 21
Die Borromäerinnen (SMCB) in Stralsund Teil 2
Ein Katholisches Waisenhaus und die ersten Ordensschwestern in Stralsund von 1862 bis zum Rückruf 1979 in ihr Mutterhaus nach Görlitz

Der Nationalsozialismus brachte für das Haus am Jungfernstieg schwere Zeiten. Nach der Einberufung von Oberbürgermeister Dr. Stoll übernahm Staatskommissar Fichtner, ein strammer Nationalsozialist, die Führung der Stadt. Er war ein Feind der katholischen Kirche und bestrebt, ihre Einrichtungen aufzulösen. In einem Brief an den Gauamtsleiter der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) in Stettin schrieb er: „Seit meinem Dienstantritt in Stralsund ist mir das in Stralsund Jungfernstieg 2 gelegene St.-Josef-Waisenhaus ein besonderer Dorn im Auge. Dieses Waisenhaus dient zur Aufnahme katholischer Waisenkinder aus ganz Vorpommern. Ferner werden in diesem Haus diejenigen Kinder internatsmäßig untergebracht, die gefirmt oder kommuniziert werden. Es handelt sich also um eine regelrechte Pflanzstätte dieser uns absolut feindlich gegenüberstehenden Weltanschauung, die unbedingt beseitigt werden müsste.“ Damals waren im Heim 54 Kinder im Alter von 2 – 15 Jahren untergebracht. Fichtner möchte aus dem Haus eine Einrichtung für die Hitlerjugend machen. Erzpriester Radek protestierte ohne Erfolg. Am 12.Juni 1943 wurde das katholische Waisenhaus auf Grund des Reichsleistungsgesetzes vom 1. September 1939 mit sofortiger Wirkung für Zwecke der nationalsozialistischen Jugenderziehung und Jugendfürsorge beschlagnahmt. Jetzt schaltete sich Konrad Kardinal von Preysing ein. Er wies den Regierungspräsidenten darauf hin, dass den Schwestern im Hause Wohnraum zustehe, da sie in der ambulanten Krankenpflege und im Gemeindedienst tätig waren. Ebenso müsse die Beschlagnahme der Kapelle aufgehoben werden, da sie auch von den Gläubigen der Stadt genutzt würde. Die Antwort aus Stettin war eindeutig. Für die Schwestern sei in der Stadt kein Aufgabengebiet mehr vorhanden, da ihre bisherige Arbeit jetzt von der NSV übernommen würde, und die Kapelle sei für einen öffentlichen Gottesdienst nicht von Nöten, da die Kirche in der Frankenstraße reichlich Raum biete. Die Schwestern kehrten ins Mutterhaus zurück.

Nur Schwester Tarbula und Schwester Wiborada wurden nach Kolberg in eine Lungenheilstätte dienstverpflichtet. Im März 1944 hob der Staat die Beschlagnahme wieder auf, doch das Heim musste weiterhin an die Stadt vermietet werden. Als Gegenleistung kamen die beiden Schwestern aus Kolberg zurück und nahmen ihren Wohnsitz im Quergebäude des Pfarrhauses. Am 21.August 1944 eröffnete die NSV in der Kinderpflegerinnenschule, Jungfernstieg 2 eine Kindertagesstätte.
Ein Katholische Waisenhaus wird zum Altersheim für Senioren von 1959 bis 1979 bis zum Rückruf in ihr Mutterhaus nach Görlitz
Nach Kriegsende übernahmen die Borromäerinnen wieder das Haus und machten es zur Heimstatt von Kriegswaisen und Flüchtlingskindern. Im Jahre 1958 standen die Schwestern und die Waisenanstalt erneut ins Kreuzfeuer der politischen Machthaber. Es kam zu einer Hetzkampagne von ungeheurem Ausmaß. Sogar die zuständigen Stellen beeinflussten die Kinder, gegen die Schwestern auszusagen. In der Ostseezeitung erschien ein Artikel unter der Überschrift:“ Von Barmherzigkeit keine Spur- Empörende Zustände im St. Josef-Heim.“ Angeklagt waren die unhygienischen Zustände im Heim, die schändliche Behandlung und die unzureichende Versorgung der Kinder. Man warf den Schwestern vor, sie nähmen das Pflegegeld, um davor Genussmittel wie Wein, Liköre, Rauchwaren und Pralinen zu kaufen. Weiter hieß es, dass 22 Kinder, die nicht katholischer Konfession waren, zu religiösen Übungen gezwungen wurden. Dies alles veranlasste die staatlichen Stellen, am 30. April 1958 das Haus zu schließen. Pfarrer Radek protestierte dagegen mit der Rückgabe des Vaterländischen Verdienstordens in Silber, der ihm wegen seiner Verdienste um die Stadt 1955 verliehen worden war. Am 1. Juli 1959 übernahmen die Schwestern eine neue Aufgabe. Nach kurzem Umbau entstand aus dem Waisenhaus ein Altersheim.

Im Jahr 1962 begingen die Borromäerinnen in Stralsund ihr 100jähriges Ortsjubiläum. Alfred Kardinal Bengsch feierte mit Priestern des Dekanates in der St. Marienkirche ein feierliches Hochamt. Im Dezember 1979 rief die Generaloberin die Stralsunder Schwestern ins Mutterhaus nach Görlitz zurück. Die meisten Borromäerinnen, die in Stralsund tätig waren, haben ihren irdischen Weg beendet. Schließen wir sie, die oft unter so unwürdigen Bedingungen und Verhältnissen in schweren Zeiten ihren aufopferungsvollen Dienst in unserer Stadt getan haben, in unser Gebet ein. Wir denken an die Schwestern Tarbula, Beningna, und Restituta, die auf unserem Friedhof ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Weiter denken wir an die Oberinnen Alfonsa, Petrussa, Emerika, Perpetua und Betilla. An die Schwestern Expedita, Marjella, Giselena, Firmina, Wilma und Norberta. sowie an Schwester Proba und die Küchenschwester Honesta, an die Schwestern Morina und Leona und auch die, deren Namen wir vergessen haben. Aber besonders zwei Schwester bleiben vielen in besonderer Erinnerung, Schwester Adeltrudis, die ein strenges Regiment in der Sakristei führte und Schwester Wiborada, die den Gottesdienst musikalisch umrahmte, Religionsunterricht gab, den Chor betreute und unter ihrer Leitung die Kinder und Jugendlichen manches Singspiel vor der Gemeinde aufgeführt haben.
Die Zeit im Nationalsozialismus auch in Stralsund
Zunächst begrüßten beide großen Konfessionen grundsätzlich den „nationalen Aufbruch“ von 1933 und verbanden mit der Abkehr von der Weimarer Demokratie die Hoffnung auf Rechristianisierung einer zuvor säkularisierten Gesellschaft, in der angeblich kirchenfremde und kirchenfeindliche Parteien, soziale Bewegungen und kulturelle Strömungen die große Politik und den öffentlichen Diskurs zuungunsten der christlichen Kirchen beherrscht hätten. Die Überwindung der von kirchlicher Seite häufig polemisch als „Gottlosenrepublik“ stigmatisierten Epoche der Weimarer Republik wurde als segensreiche Wende in Staat und Gesellschaft wahrgenommen. Besonders aus dem protestantischen Milieu gab es viel Zuspruch zur NSDAP und deren Führer Adolf Hitler. Offiziell blieben im Umbruchjahr 1933 die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung in Kraft: Trennung von Staat und Kirche; Freiheit der religiösen Bekenntnisse; Anerkennung des Status der großen Konfessionen als öffentlich-rechtliche Körperschaften; Garantie des kirchlichen Eigentums.
Am 20. Juli 1933 gelangten die Verhandlungen zwischen dem Vatikan und der Reichsregierung über einen Staatsvertrag zum Abschluss.
Durch dieses Reichskonkordat sollten die künftigen Beziehungen zwischen der katholischen Kirche im Deutschen Reich und dem NS-Staat, ihre wechselseitigen Ansprüche, Rechte und Verpflichtungen neu geregelt werden. Der Vertrag gewährleistete die Freiheit des Bekenntnisses und die „öffentliche Ausübung der katholischen Religion“, den Erhalt der katholisch-theologischen Fakultäten an den Universitäten sowie den Bestand der katholischen Bekenntnisschulen, Vereine und Verbände. Artikel 32 untersagte katholischen Geistlichen künftig die parteipolitische Betätigung. Im Vergleich der Performance beider Konfessionen im Jahr 1933 ist ein gravierender Unterschied hervorzuheben: eine christlich-völkische Massenbewegung innerhalb der Kirche, deren Forderungen und Aktionen die Strukturen der alten Kirche extrem stark erschütterten, gab es im Raum der deutschen katholischen Kirche nicht.
Im „Kirchenkampf“ auf katholischer Seite stand seit 1934 weniger der innerkirchliche Richtungsstreit als vielmehr Konflikte aufgrund politischer und weltanschaulicher Übergriffe des NS-Staats im Vordergrund. Die nach außen viel mehr geschlossen agierende katholische Kirche war darauf bedacht, ihre durch das Reichskonkordat von 1933 garantierten religiösen Freiheiten und kirchlichen Rechte gegenüber dem NS-Staat zu behaupten. Zahlreiche staatliche wie parteipolitische Angriffe und Übergriffe verletzten indessen seit 1934 in wachsendem Maße die Vereinbarungen des Konkordats.
Die kirchlichen Proteste gegen diesen Trend gipfelten in der päpstlichen Enzyklika „Mit brennender Sorge“, die im März 1937 von den meisten Kanzeln katholischer Kirchen verlesen wurde. Wer Rasse, Volk oder Staat vergöttere, so heißt es darin, der verfälsche die von Gott geschaffene Ordnung der Dinge. Beklagt wurde unter anderem die offene Verletzung der Konkordatsbestimmungen, die Begünstigung des Christentums feindlichen „Neuheidentums“, der Personenkult um Hitler, die Verbannung des Christentums aus den Schulen.
Während der Kriegsjahre 1939-45 wandelten sich die Kirche-Staat-Beziehungen ein Stück weit. Im Protestantismus bildeten sich die scharfen inneren Kirchenkampffronten zurück, die Gemäßigten auf beiden Seiten – bei den Deutschen Christen ebenso wie bei der Bekennenden Kirche – traten stärker hervor und verständigten sich zum Teil mit der anwachsenden kirchlichen Mitte.
Christlicher Widerstand gegen den verbrecherischen Krieg, gegen die Euthanasiemaßnahmen, gegen die Judendeportationen und den Holocaust blieben in beiden Konfessionen die eher seltene Ausnahme von mutigen Einzelpersönlichkeiten wie Dietrich Bonhoeffer, Helmut Hesse oder Elisabeth Schmitz auf protestantischer und Clemens August Graf von Galen, Bernhard Lichtenberg oder Gertrud Luckner auf katholischer Seite.
In Gedenken an Frau Felicitas Knoppke; verstorben 2024
überarbeitet von Roland Steinfurth
Korrektur von Wolfgang Vogt
Gemeinde Hl. Dreifaltigkeit Stralsund
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