Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 18

Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 18

Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 18

# Jubiläum250

Katholisches Leben in Stralsund – eine Zeitschiene bis in die Gegenwart - Episode 18

Borromäerinnen (SMCB) in Stralsund - Teil 1
Ein Katholische Waisenhaus und die ersten Ordensschwestern in Stralsund vom ersten Tag 1862 bis zum Rückruf 1979 in ihr Mutterhaus nach Görlitz

Wann und wie die Gemeinde das Vorderhaus Frankenstraße 39 als Waisenhaus genutzt hat, ist aus den vorhandenen Quellen nicht ersichtlich. Erst mit dem Neubau des Quergebäudes Ende des 19. Jahrhunderts wird berichtet:  40-50 Kinder zogen in das neuerbaute Haus. Die Geschichte des Waisenhauses ist aber auch untrennbar mit dem Leben und Wirken der Schwestern von der Kongregation des hl. Borromäus SMCB (Sorores Misericordiae Sancti Caroli Borromei) hier in Stralsund verbunden. Die erste Schwester, die 300 Jahre nach der Reformation in unsere Stadt kam, war die Oberin Nepommena aus dem Kloster Grünhof bei Regenwalde /Hinterpommern. Der Besitzer einer Eisengießerei aus der Marienstraße hatte einen Schlaganfall erlitten und sie zur Krankenpflege kommen lassen. Sakramental betreut wurde Schwester Nepommena im hiesigen Pfarrhaus. Im Dezember 1862 rief der amtierende Pfarrer Armand Schnalke daraufhin zwei Borromäerinnen aus dem Mutterhaus in Trebnitz/Schlesien nach Stralsund. Es waren die Schwestern Rosa und Apronia. Sie bezogen das kleine Gartenhäuschen mit zwei Stübchen an der Stadtmauer im Pfarrgarten. Den Stralsundern war der Anblick der Schwestern in Tracht unbekannt und sie fragten sich, ob das ein Mann oder eine Frau sei. 

Es kam auch  vor, dass eine von ihnen angespuckt wurde. Man rief ihnen nach, „da kommt ein katholischer Teufel!“. Auch nannte man sie katholische Diebe. Doch im Laufe der Zeit hatte man sich an den Anblick gewöhnt und rief sie auch zur Krankenpflege nach Hause. Die Schwestern übernahmen teilweise auch den Schulunterricht, bis ihnen dies während des Kulturkampfes zwischen dem Preußischen Staat und der katholischen Kirche (1872-1878) verboten wurde. Die Wohnsituation der Schwestern hatte sich im Laufe der Jahre wesentlich verbessert. Pfarrer Josef Lange ließ am Frankenwall 7 1893 einen Neubau (unser Christopherus - Haus, Sitz von Caritas, Hospiz - und Lazarusdienst) errichten und die Schwestern zogen hier ein. Da sie vor allem auf Spenden angewiesen waren, nahmen sie neben ihrer Tätigkeit als Krankenpflegerinnen Schülerinnen der höheren Töchterschulen als Pensionsgäste auf.

Nach der Einweihung des neuerbauten Quergebäudes und der Einrichtung als Waisenanstalt betreuten sie auch Kinder. 1862 lebten zwei Schwestern, 1867 drei, 1884 fünf, 1895 sechs, 1896 sieben und endlich ab dem 9. November 1926 acht Schwestern in Stralsund. Während des 1. Weltkriegs waren nur 10 Kinder in der Anstalt, die leergewordenen Räume dienten als Reservelazarett, wo Schwester Everildis und die vielen älteren Stralsunder Gemeindemitgliedern noch bekannte Schwester Tarbula die Pflege der verwundeten Soldaten übernahmen.  Dafür erhielten sie nach dem Krieg die Rote - Kreuz – Medaille und Pfarrer Wahl das Eiserne Kreuz am weiß-schwarzen Bande. 

Die Verlegung der Schulklassen von der Mühlenstraße 25 zum Frankenwall 7 brachte für die Schwestern eine räumliche Verengung. So planten sie den Ankauf des Hauses Jungfernstieg 2. 

Nach Umbauarbeiten konnte das Gebäude am 29. Juli 1918 eingeweiht werden und sechs Schwestern mit der Oberin Betilla und 40 Kindern hielten dort Einzug. Im Jahr 1921 waren durchschnittlich 52 Zöglinge im Haus untergebracht. Ein Drittel von ihnen waren kleine unterernährte Kinder bis zu sieben Jahren. Die Mädchen betätigten sich im Haushalt und beschäftigten sich mit Handarbeiten. Die Jungen übernahmen Arbeiten in Haus und Garten. Oft halfen die Kinder bei der Obsternte und sammelten Getreideähren auf dem Feld. Denn seit Bestehen des Hauses, besonders während des 1. Weltkriegs, als die spätere Oberin Sr. Emerika im Jahr 1921 das Haus übernahm, war die Ernährung sehr schlecht. Auch in den Jahren danach herrschte große Armut im Waisenhaus. Es fehlte nicht nur an Nahrungsmitteln, sondern auch an Kleidung und Wäsche. So benutzten zeitweise sechs Kinder ein Handtuch zum Abtrocknen. Es bestand die Gefahr, dass die Waisenanstalt   geschlossen werden musste. In dieser schweren Zeit lernte die Oberin auf einer Bahnfahrt den Pfarrer Dr. Pelz aus Berlin kennen, dem sie von ihren Nöten erzählte. Er wurde zum Wohltäter des Hauses. Die Schwestern erhielten von ihm Adressen von Stofffirmen. An diese schickten sie Bettelbriefe und nun trafen täglich große Pakete mit Stoffen aller Art, Tischwäsche u.a.m. ein. Der Bonifatiusverein schickte Kleidung aus Amerika, außerdem Säcke mit Mehl und Gries. Auch der Caritas - Verband in Berlin und die Kinderhilfe in Stettin halfen. Zum Weihnachtsfest erhielten die Schwestern die Erlaubnis, in der Stadt auf Betteltour zu gehen. So konnten die Kinder zum Fest reich beschenkt werden. Nur durch diese Sammeltätigkeit im In -und Ausland war es möglich, die Anstalt am Leben zu erhalten. Die Armeninspektion in Stralsund zeigte sich allerdings wenig nobel und machte Unterschiede zwischen dem katholischen Haus und den anderen Kindereinrichtungen der Stadt. Jahrelang lag Pfarrer Friedrich Radek deshalb mit den zuständigen Ratsherren im Streit. Bei dem Ankauf des Hauses im Jungfernstieg befand dieses sich in keinem guten Zustand. Deshalb waren bald weitere bauliche Maßnahmen notwendig. Der erste Umbau erfolgte im Herbst 1922 mit Hilfe einer Dollarspende aus Amerika, dem folgte 1925/26 der Aufbau von zwei Stockwerken, denn inzwischen war die Zahl der Kinder auf 100 angestiegen. Am 29. September 1926 konnte das umgebaute St.-Josefs-Stift unter Teilnahme von zahlreichen Gästen mit einem feierlichen Levitenamt eingeweiht werden. In seiner Festrede fand Erzpriester Radek herzliche Worte des Dankes an den Regierungspräsidenten, der seine schützende Hand dauernd über die kleine katholische Gemeinde gehalten hat.

Das Waisenhaus war über viele Jahre gleichzeitig Kommunikantenanstalt. In einem Brief von 14. März 1892 an den Generalvorstand des St. Bonifatiusvereins schreibt Pfarrer Lange, dass „...etwas vor mehr als drei Jahren die hiesige Kommunikanten Anstalt mit drei Kindern eröffnet wurde“. Zurzeit sind acht Kinder in der Anstalt unter der Aufsicht von barmherzigen Schwestern untergebracht. Es waren Kinder vor allem von polnischen Schnittern, die auf dem Lande lebten.  Ende der 20er Jahre erhielt die Kommunikantenanstalt den Status einer Privatschule mit einem ordentlich angestellten Lehrer. Der Kursus dauerte ein halbes Jahr, die Kinder erhielten neben dem Religionsunterricht auch Unterweisung in allen anderen Lehrfächern. Der Unterricht schloss ab mit dem Zeugnis der 8. Klasse.

In Gedenken an Frau Felicitas Knoppke; verstorben 2024
überarbeitet  von Roland Steinfurth
Korrektur: Wolfgang Vogt
Gemeinde Hl. Dreifaltigkeit Stralsund

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Katholische Kirchengemeinde Pfarrei St. Bernhard Stralsund/Rügen/Demmin • Frankenstr. 39 • 18439 Stralsund

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